Wie hat sich die ESG-Gemengelage auf das Geschäft Ihrer beiden Unternehmen ausgewirkt?
Conde: In den letzten zwei, wahrscheinlich sogar drei Jahren gab es viele Herausforderungen. Ich denke da an Regulierung, Greenwashing und ESG-Daten. Aber das Wichtigste ist: Es gab auch sehr viel Lärm. Bei Mediolanum haben wir uns auf die tatsächlichen Herausforderungen konzentriert, dafür Lösungen gefunden und den Lärm ausgeblendet – denn dieser ist weder produktiv noch hilfreich für die Diskussion.
Hein: Die Dringlichkeit des Klimawandels nimmt weiter zu, und die ING Deutschland möchte eine führende Rolle bei der Beschleunigung des globalen Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft spielen. Unser Ziel ist es, den Übergang zu beschleunigen – denn das ist uns als Bank, unseren Kundinnen und Kunden sowie der Gesellschaft wichtig. Unsere Rolle beim globalen Wandel konzentriert sich auf die drei Bereiche, von denen wir glauben, dass wir die größte Wirkung erzielen können, basierend auf dem, was in der Welt passieren muss: es geht zunächst darum, Emissionen zu senken, indem wir Unternehmen bei ihrem Übergang zur Technologien und Lösungen für eine kohlenstoffarme Welt eine nachhaltige Zukunft aufbauen. Und last but not least geht es darum, alle mitzunehmen, indem wir neue Wege finden, Menschen dabei zu helfen, dem Klimawandel stets einen Schritt voraus zu sein.
Wie wichtig ist dieses Thema derzeit für Fondsanleger und für Kunden im Bereich der Immobilienfinanzierung?
Conde: Wie viele wissen, ist Mediolanum sehr kundenorientiert. Wir achten stets genau darauf, was unsere Kunden wollen und was wir für das Beste für sie halten. Aus unserer Sicht ist die Nachfrage nach ESG-Produkten weiterhin sehr robust. Auch hier gab es viel Unruhe, aber das hat sich nicht auf das Interesse oder den Appetit unserer Kunden ausgewirkt. Nur um einige Zahlen zu nennen: In den letzten fünf Jahren haben wir durchschnittlich zwei bis drei neue ESG-Fonds pro Jahr aufgelegt. Diese machen inzwischen fast zehn Prozent unseres verwalteten Vermögens aus – das ist für einen Zeitraum von nur fünf Jahren beachtlich.
Hein: Wir sehen, dass in der Baufinanzierung die Wichtigkeit zunimmt. Immerhin ist der Immobilienbereich für ca. ein Drittel des C02-Ausstoßes in Deutschland verantwortlich. Deshalb haben wir nicht nur entsprechende Produkte und Kooperationen im Angebot, sondern für uns ist es auch wichtig, unsere Beraterinnen und Berater sowie unsere Vermittlerinnen und Vermittler entsprechend mit Informationen zu versorgen, so dass sie in der Beratung diese Themen ansprechen und Kundinnen und Kunden in die Lage versetzen, die richtige Entscheidung beim Immobilienkauf, bei der Renovierung und Sanierung und auch im Neubau zu treffen.

Welche grundsätzliche Bedeutung hat das Thema ESG für Mediolanum und ING?
Conde: Für uns als Unternehmen ist ESG sehr wichtig. Wie ich bereits erwähnte, haben wir vor etwa fünf Jahren begonnen, ESG stärker in den Fokus zu rücken. Seitdem hat es an Relevanz gewonnen und ist sehr bedeutsam geworden – nicht nur für uns, sondern auch für unsere Kunden. Es war und ist eine echte Win-Win-Situation.
Hein: Für die ING ist dieses Thema eine grundlegende Säule in ihrer Strategie. Wir wollen unseren gesellschaftlichen Beitrag leisten, die Transformation zur Klimaneutralität zu unterstützen und natürlich auch voranzutreiben. Deshalb haben wir uns im verpflichtet, den kohlenstoffintensivsten Teil unseres Kreditportfolios bis 2050 die Netto-Null zu steuern. Dafür nutzen wir den Terra-Ansatz.
Welche ESG-Kriterien sind bei der Auswahl nachhaltiger Fonds am wichtigsten?
Conde: Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben ein klar definiertes ESG-Rahmenwerk, das wir auf alle Fonds anwenden, die wir prüfen und auswählen – wir nennen es die drei P’s: Parent, Process und Portfolio. Zum ersten „P“, Parent: Wir wollen sicherstellen, dass wir aus ESG-Sicht mit dem Unternehmen, mit dem wir zusammenarbeiten, gut aufgestellt sind. Die Investmentgesellschaft muss über starke ESG-Referenzen verfügen. Die zweite Säule ist der Prozess. Dabei ist entscheidend, dass ESG vollständig in die Anlagestrategie und den Investmentprozess integriert ist. Schließlich betrachten wir das Portfolio selbst. Hier führen wir umfassende quantitative Tests durch, um sicherzustellen, dass das Portfolio unseren ESG-Anforderungen aus datengestützter Sicht entspricht.
Welche Rolle spielen ESG-Kriterien bei der Immobilienfinanzierung?
Hein: ESG hat drei Komponenten: Environmental, Social, Governance. Alle drei spielen eine wichtige Rolle in der Baufinanzierung. Mit unseren Angeboten können wir dafür sorgen, dass Finanzierungen entsprechend attraktiv sind, die in Verbindung mit diesen Kriterien stehen und dann einen entsprechenden Anreiz für Kundinnen und Kunden bieten. Damit steuern wir unser Portfolio. Social z. B. ist wichtig im Blick darauf, dass wir Kundinnen und Kunden vor Überschuldung schützen und Governance ist selbstverständlich wichtig, denn es geht auch darum, dass wir uns an die gesetzlichen und regulatorischen Vorgaben halten.
Inwieweit beeinflussen ESG-Kriterien die Risikobewertung von Fonds?
Conde: Sie sind nicht nur für ESG-Fonds, sondern für alle Fonds von wesentlicher Bedeutung. Ich möchte jedoch nicht nur von Risiken sprechen – wir sollten auch über Chancen sprechen. ESG bietet viele Möglichkeiten, insbesondere im Bereich thematischer Investments und Megatrends. ESG-Kriterien bilden eine starke Grundlage für langfristige Anlagestrategien.
Wie können ESG-Risiken bei der Hypothekenfinanzierung bewertet werden?
Hein: Hier gibt es bereits Beispiele am Markt und auch bei der ING Deutschland selbst. So gibt es Zinsab- und -aufschläge je nach Energieeffizienzklasse. Das bildet ein zukünftiges Verkaufsrisiko mit erwarteten Preisanpassungen aufgrund vorhandener oder fehlender Energieeinsparungen im Objekt ab. Diese Preisunterschiede je Energieeffizienzklasse sehen wir heute schon am Markt.
Ein anderes Thema ist z. B. die Objektbewertung: Je nach Lage und dem damit verbundenen Risiko hinsichtlich Wetterereignissen etc. kann eine unterschiedliche Einwertung von Objekten erfolgen. Auch hier wird es künftig weitere Anpassungen geben.
Wie wirken sich die Standards für nachhaltiges Bauen auf die Finanzierungsbedingungen für Bauprojekte aus?
Hein: Natürlich führen entsprechende Standards zunächst zu höheren Preisen in der Anschaffung von Immobilien bzw. in der Sanierung/Modernisierung. Auf lange Sicht werden diese sich aber bezahlt machen: Zum einen durch einen stabileren Objektwert gegenüber nicht nach diesen Standards entwickelten Immobilien und zum anderen führen diese Maßnahmen zu niedrigeren Nebenkosten im Vergleich zu den Immobilien, die diese Standards nicht haben. Das gilt besonders im Hinblick auf die Freigabe des CO2-Preises in 2027.
Gibt es spezielle Subventionsprogramme oder grüne Kredite für nachhaltiges Bauen? Was bietet die ING in dieser Hinsicht an?
Hein: Wir haben sowohl für Neubau als auch für Bestandsimmobilien Produkte im Angebot. So bieten wir die Baufi Green hauptsächlich für den Neubau mit einem Zinsabschlag von 0,1 Prozent und inzwischen auch die Baufi Energy für Modernisierungen/Sanierungen mit einem Abschlag von 0,1 Prozent und sogar mit 18 Monaten bereitstellungszinsfreier Zeit an. Dazu kommen Kooperationen, bei denen unsere Kundinnen und Kunden die Maßnahmen über unsere Modernisierungs-Partner günstig und zeitnah einkaufen und sich zu Energieeinsparungen beraten lassen können. Darüber hinaus haben wir im Vertrieb einen Nachhaltigkeitsbeauftragten, der für unsere Vertriebspartnerinnen und -partner bei Fragen zur Verfügung steht und regelmäßig über Neuerungen und Entwicklungen informiert.

Mediolanum ist stark im Segment der Sub-Advisory-Fonds. Wie finden Sie die besten ESG-Fondsmanager?
Conde: Wir gehören zu den größten Akteuren in Europa, was uns in zweifacher Hinsicht hilft. Erstens haben wir langfristige Beziehungen zu den meisten Managern der Branche. Wir pflegen über hundert aktive Beziehungen und kennen noch viele weitere Manager. Zweitens: Als großer Asset Manager erleben wir, dass viele Partner sehr interessiert daran sind, mit uns zusammenzuarbeiten. Außerdem kennen wir viele dieser Manager schon sehr lange und sind mit ihren ESG-Qualitäten vertraut.
Gibt es ein Greenwashing-Problem bei ESG-Investitionen? Wenn ja, wie kann man es erkennen, und wie stark wirkt es sich auf das Geschäft aus?
Conde: Es gab nur wenige, aber sehr öffentlichkeitswirksame Fälle. Ich habe den Eindruck, dass der mediale Lärm größer war als notwendig. Dennoch nehmen wir Greenwashing sehr ernst. Wir verwenden einen detaillierten „Engagement-Fragebogen“ mit fast hundert Fragen, um unsere Manager aus ESG-Perspektive zu bewerten. Darüber hinaus führen wir einen ständigen Dialog mit unseren Managern und überwachen sie kontinuierlich. Als Investoren verdienen wir uns das Vertrauen und den guten Ruf bei unseren Kunden – und Greenwashing kann beides gefährden. Deshalb ist es ein sehr ernstes Thema für uns, dem wir viel Aufmerksamkeit und Einsatz widmen.
Neben Greenwashing und zahlreichen geopolitischen Krisen war die Regulierung sicherlich ein weiterer Grund dafür, dass das Thema Nachhaltigkeit in den letzten Jahren nicht einfach war. Was erwarten Sie von den Regulierungsbehörden, um das Thema Nachhaltigkeit wieder in den Fokus zu rücken?
Conde: Regulierung ist eine Herausforderung, weil sie sich ständig verändert. Europa ist derzeit weltweit führend in Sachen Nachhaltigkeit, und die Regulierungsbehörden spielen dabei eine zentrale Rolle. In den letzten fünf bis sechs Jahren haben sie stark auf dieses Thema fokussiert – und das war für die Branche sehr vorteilhaft. Europa ist dadurch heute globaler Vorreiter in Sachen ESG. Aber die Umsetzung war mitunter schmerzhaft. Aktuell setzen wir die ESMA-Richtlinien zur Fondsbenennung mit ESG-Bezug um. Das ist ein großes Projekt. Ja, der regulatorische Fokus war insgesamt positiv. Er hat unserem Unternehmen und der gesamten Branche geholfen.
Hein: Ich gehe davon aus, dass es für die Finanzierungsportfolios der Banken auf lange Sicht weitere regulatorische Vorgaben geben wird. Nichtsdestotrotz haben wir unsere eigenen Ziele, die wir erreichen wollen, um letztlich einen Beitrag für eine sauberere Umwelt und damit für eine auch für die kommenden Generationen weiterhin lebenswerte Welt zu leisten. Darauf richten wir unsere eigene Produkt- und Angebotspolitik aus.
Was würden Sie sagen, wie wichtig ist die Marke in Bezug auf ESG?
Conde: Abgesehen von dem, was ich bereits über Vertrauen und Reputation gesagt habe: Wir konzentrieren uns auf wenige, sehr starke Akteure im ESG-Bereich. Wir arbeiten bevorzugt mit Managern, die über ein gutes ESG-Profil verfügen.
Hein: ESG ist auch für unsere Marke wichtig. Wenn man sich den Hypothekenmarkt anschaut und die Kundinnen und Kunden mehr an Renovierung und Modernisierung denken, und wenn die Marke auch nachhaltig engagiert ist, dann schauen Finanzierungswillige sehr schnell darauf, was die ING ihnen bietet.
Wenden wir uns dem digitalen Teil zu. Welche Rolle spielt KI in Bezug auf Produkte und Vertrieb?
Conde: KI spielt derzeit noch keine entscheidende Rolle in Produktentwicklung oder Vertrieb, beginnt aber eine Rolle bei der Verarbeitung von ESG-Daten zu spielen. Diese ist besonders herausfordernd – zum einen wegen des riesigen Datenvolumens, zum anderen wegen der uneinheitlichen Qualität. KI trägt bereits dazu bei, diese Daten besser nutzbar zu machen. Und ja: Im weiteren Sinne wird KI die Welt in vielerlei Hinsicht verändern.
Hein: Wir sehen, dass sich dieses Thema mit großen Schritten nähert und alle davon profitieren können – in puncto Effizienz und auch in Form von ausgiebigen Informationen. Im Vertrieb gilt es hier, durch den Einsatz von AI mehr Zeit für die Beratung zu gewinnen und die Möglichkeiten effektiv zu nutzen. Dabei ist natürlich immer auf die Punkte Datenschutz und Sinnhaftigkeit zu achten.
Es mangelt immer noch an Standards für ESG. Ist das ein Problem für die Effizienz von KI?
Conde: Aus Sicht der ESG-Datenanbieter gibt es zwei, drei dominierende Player und viele kleinere. Das ist besonders herausfordernd für Unternehmen wie uns, die auf externe Anbieter angewiesen sind. Jeder nutzt unterschiedliche Daten – es ist daher oft schwierig, klare Aussagen zu treffen. Menschliches Urteilsvermögen ist nach wie vor sehr wichtig. Trotzdem wird KI künftig eine bedeutende Rolle spielen – insbesondere bei der Standardisierung von ESG-Daten.
Letzte Frage: Welche Megatrends sehen Sie im Bereich ESG für die kommenden Jahre in den Segmenten Fonds und Hypothekenfinanzierung?
Conde: Wir haben thematische Investments und Megatrends schon vor dem ESG-Fokus sehr geschätzt – und sie waren für uns stets positiv und produktiv. In Bezug auf ESG-Megatrends arbeiten wir seit etwa fünf Jahren aktiv daran. Themen wie Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung, Energiewende, grüne Gebäude und Immobilien, Wasser und Biodiversität sind für uns besonders wichtig. Sie helfen uns und unseren Kunden, den langfristigen Anlagehorizont zu wahren – was bei Investitionen entscheidend ist. Außerdem sind sie für Privatanleger sehr intuitiv – leicht zu erklären und gut nachvollziehbar. Und nicht zuletzt gibt es den Wohlfühlfaktor: Man kann so investieren, dass es mit den eigenen Werten übereinstimmt. Megatrends und Themen sind für uns ein hervorragender Ansatz für ESG-Investments.
Hein: Ich gehe davon aus, dass sich das Produktangebot und die Prozesse künftig noch stärker an ESG-Kriterien orientieren werden und sich dementsprechend der Wettbewerb um energieeffiziente Objekte verstärken wird – sowohl beim Kauf als auch bei der Finanzierung. Für Objekte, die einen schlechten Effizienzstandard haben, kann die Finanzierung dann schwieriger und teurer werden.
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